Münchner Sagen & Geschichten

Der große Wind.

Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 257)


Unfehlbar iſt eines der merkenswer theſten Volks Sprach- Wahrzeis chen zu Münden das Wort : „ Ja dazumal, beim großen Wind ! " und Mande feßen dazu : „ A0. Eins ! " Wer das ſagt, drüdt eine Abweiſung aus und meint da mit ungefähr : „ Was du ſagſt, iſt heute zu Tag nicht mehr möglich ,“ oder nad Umſtänden auch „ das und das thu' ich durchaus nicht!" Nun habe ich, wie viele Andere oft ſchon die längſte Zeit auf das Tiefſte und Reiflidſte nadıgedacht, wie es denn eigentlich mit dieſer Sache von demſelben großen Wind"

 

beſchaffen ſei. Ich bin aber nicht ſo wahrhaftig und tief auf den Grund gekommen, daß ich mir einbilden dürfte, ich wiſſe allein das Richtige und Sichere. Vielmehr wird es das Beſte fein, die Meinungen Verſchiedener klar vor Augen zu ſtellen , damit die ganze Angelegenheit in noch weitere, reiflliche Erwägung gezogen werden könne, denn einmal ſoll da doch ein Entſcheid kommen, und es handelt fidi zuerſt um den Ausdruck, wenn das „ A0. Eins" nicht beigefeßt wird. Die Ginen unter den gelehrten Köpfen meinen nun da : Es fei mit dem „ großen Wind “ die Zeit angedeutet, in welcher ſich Mar Emanuel in Brüſſel als Statthalter aufhielt und, wie die Leute jagten, für eine nichtig win dige Pracht ſein Land Bayern in die niederländiſche Schüſſel gebroďt habe.“ Die 3 weiten nehmen Bezug auf etwas Anderes . Um Mitte des vorigen Jahrhunderts erſchien nemlich eine Kleiderordnung , weil es die Weibſen mit ihren Hauben , Röđen , Goldborten und ihrem „ Geſchmud" ei Zeit lang ſo hoch gaben , daß es den chriſtlich ſchlichten Ehchaltern ſchier über alles Vermögen und Maaß ging. A18 nun dieſe Kleiderordnung den Lesteren ſehr wille kommen war, wollten die Ehefrauen davon durchaus nights wiſſen , trojdem ihnen gedroht war, die Rathsknechte wür den ihnen beim Kirchgang und ſonſt aller Orte die be fagten þauben herrabreißen, die Borten abſchneiden – und daß fie das Geldymud auch mitnahmen , verſtehe ſich von ſelbſt.

 

Bei ſo bewandten, unläugbaren Zuſtänden behaupten nun die zweiten Hochgelehrten : ,, Es ſei das tropige, windflüchtige, prachtmäßige und über die bürgerliche Sdlichtheit hinaus gehende Gethu be ſagter Weibſen als der „ große Wind “ zu nehmen, oder, wenn das nicht eben die raſche Gewalt der hochlöbli dhen Rathspolizei , welche ihnen eines Sonntags, wegen ſtets neu bewieſener Unfolgſamkeit, wirklich wie das ſchnau bende Wetter über die mehr und minder anmuthigen Häup ter herfuhr, worauf ſie dann doch hätten nachgeben müßen. " Die Dritten laſſen das Alles im Ganzen gar wohl zu , bringen aber den großen Wind " wirklich in's Spiel. Sie behaupten nemlich : ,, Die Polizei ſei den Weibſen zwar in Einigem , doch niďt in Allem Herr geworden , ſo daß es die Küh neren gleichwohl gewagt hätten , am nächſten Sonntag wie der in der verordnungswidrigen Pracht zur Frauenkirche über den Berg hinauf zu ſtolziren. Da ſeien nun die bar bariſchen Stadtknechte ſogleich wieder bei der Hand geweſen, wären aber dod wohl nicht gänzlich zum Ziel gekommen, wenn nicht urplößlid; ein ſchredlicher Sturm Hülfe gebo ten hätte , indem derſelbe ſo ungeheuer gewüthet habe, daß es die Hauben und Bänder über die Kirche und die Stadt bis über die Fſar hinüber riß wie man denn eine Haube auch wirklich in Rammersdorf auf einem Baume hängend gefunden haben ſoll. Erſt durch dieſen ſchauerlichen Sturm , welcher den Weibfen ein, zu Gunſten der churfürſt lichen Verordnung eingetretenes, Himmelszeichen zu ſein ſchien,

 

hätten fie fich nun in die vorgeſchriebene Entbehrung gefügt wodurch denn zu gleicher Zeit, ſowohl der hoch löblichen Rathspolizei die Sorge für den Untergang ihrer Autorität, als auch den Mündneriſchen Ehebaltern die Angſt wegen zu vielen Geldverbrauches hinweggeblaſen worden ſei. “ Dieſes iſt, was Ihrer Dreierlei behaupten. Uebrigens find da noch andere vierte Hochgelehrte, welche der leßten Meinung zuſtimmen , aber dazu be haupten : ,, Der heftige Wind, welder bekanntermaffen gar oft noch heut zu Tage um den Lieb - Frauen- Dom webt - ſchreibe ſich von dem anderen und früheren Wind her, indem ihn der Himmel zu einem ſtets wiederkehrenden Wahrzei ſchen und zur fteten Mahnung für die Jungfrauen und Frauen beſtimmt habe.“ Wie nun aber der Spruch zu verſtehen ſei, wenn „ A0. Eins “ dazu geſeßt wird, darüber läßt ſich nur Zweier Tei denken. Nemlich iſt damit entweder ſcherzhaft der Anfang der Welt gemeint oder das Jahr 1801 , in welchem die Mächte gegen Napoleon I. leider derart den Kürzeren zogen, daß er die Abtretung des linken Rheinufers erzwang, alle Ordnung im deutſchen Beſif , mit Recheit umzukehren begann, zumal die rheiniſchen Fürſten willkührlich auf Ko ſten Anderer entſchädigte und zu dieſem Zweck ohnewei ters die geiſtlichen Reichsſtände und Reidhøſtädte wegblies. Die ganze Aenderung ward vollzogen durch den Reichs deputationsbeſchluß von 1803, dem zu Folge von geiſtlichen

 

Fürſten nur der Churfürſt von Mainz, welcher ſeinen Siß nach Regensburg zu verlegen hatte , blieb , während von 43 Reichsſtädten 37 ihre Selbſtändigkeit verloren . Bei dieſer Auffaſſung wäre der Scherz eben nicht gar erfreulich . Wie düſter aber die Sache auch ſei , dieſe Auslegung bätte Etwas für fich wenn nicht glüdlicher Weiſe vom „ großen Wind " ſchon im vorigen Jahrhundert die Rede geweſen wäre, wie ich von ganz alten Leuten weiß. Und das iſt mir ſehr tröſtlich. Denn wenn man der Macht desa felbigen Eroberers und Zwingherrn leichtſinnigerweiſe ein ſprachliches Denkmal geſegt hätte, ſo mißfiele uns das wahr lid Aden ganz und gar. Jeßt habe ich alles geſagt,, was an bedeutendſten Meinungen über den großen Wind" vorzubringen iſt. Es wil mir aber Alles nicht recht taugen , und was ich mir ſelbſt dann und wann weiters gedacht habe, tagt mir auch nicht weswegen ich erſt dann ſprechen werde, wenn die Sache genau und unfehlbar hergeſtellt und bewieſen werden kann. So viel iſt aber hoffentlich ſicher: Daß ein Jahr 1801 für uns Deutſche nicht mehr tömmt, und daß der nächſte politiſche große Wind " uns nicht ſchadet, vielmehr die Macht niederwehen wird, welche etwa dem deutſchen Vater: lande in Liſt oder Gewalt anwollte.


Denkmal an Gerd Müller